Die Mutzenbacherin

Josefine Mutzenbacher, die Lebensbeichte einer ehrbaren Dirne.


Es liest: Erni Mangold
Musik: Christian Mair
Textfassung: Susanne Höhne

„Wenn wer sein Vergnügen haben will, soll er selbst vögeln

Josefine Mutzenbacher

© Josef Gallauer

Josefine Mutzenbacher, eine Rechtfertigung der Kinderpornographie oder ein Plädoyer für die freie Lust?
Seit dem Erscheinen des Buches tendiert die öffentliche Meinung dazu entweder zum einen oder anderen Standpunkt je nach gesellschaftlicher Situation. Die lustvolle Freizügigkeit der Mutzenbacher gilt bis heute als Tabu.

„Josefine Mutzenbacher, die Lebensbeichte einer ehrbaren Dirne“ wurde 1906 im Wiener Erotika Verlag herausgegeben. 3 Jahre zuvor erschien in demselben Verlag des erst 24 jährigen Fritz Freund, „der Reigen“ von Arthur Schnitzler und löste einen Prozess gegen den Verleger aus, der letztendlich wegen Verjährung eingestellt wurde. Der Prozess verursachte eine antisemitische Schmutzkampagne gegen Fritz Freund aus, der als „Porno-Jude“ bezeichnet wurde.

Zensur und Moralvorstellungen von Kirche und Staat, standen damals in einem krassen Gegensatz zur gelebten Wirklichkeit des Fin de Siècle in Wien. Prostitution war ungeheuer verbreitet, und es gehörte zum guten Ton dass ein Sohn aus gutem Haus von seinem Vater für sein erstes Mal zu einer Prostituierten geschickt wurde. Offiziell wurde solches nicht zugegeben, und Prostituierte waren rechtlos. Auch Kindesmissbrauch war nicht nur in den engen Wohnverhältnissen des Proletariats verbreitet. Es war allerdings ein Tabu von Kirche und Staat solche Missstände offen auszusprechen. Wiener Juden hatten unter dem Antisemitismus zu leiden und waren sensibilisiert für gesellschaftliche Missstände. Sie, man denke nur an Freud, brachen das Tabu über die Praxis der Sexualität zu sprechen.

Die öffentliche Lesung der Josefine Mutzenbacher hat auch einen direkten Bezug zum Theater Hamakom Nestroyhof, da der Theaterdirektor der „intimen Bühne“ am Nestroyplatz 1, Oskar Friedmann, für kurze Zeit den Erotika Verlag geleitet hatte bevor er das Theater übernahm. An der „Intimen Bühne“ wurde erotisches Boulevard und literarische Avantgarde (u.a. Wedekind, Maeterlink) die durch die Zensur gefallen war, gezeigt.

„Die Lebensbeichte der Josefine Mutzenbacher“ ist literarische Pornographie und gleichzeitig ein genaues Sittenbild des Wien der kleinen Leute, des beginnenden 19. Jahrhunderts wo es Bettgeher, Dienstmädchen, Hausbesitzersöhne, kleine Gastwirte, Zuhälter und Huren gab. Seit dem Erscheinen des Buches war die literarische Welt von Wien sich sicher, dass ein literarisch versierter Autor das Buch geschrieben hatte. Bereits Karl Krauss und Egon Friedell schrieben Felix Salten die Autorenschaft zu. Heute gibt es daran kaum mehr Zweifel. In den 70er Jahren entdeckte Oswald Wiener das verschollene Buch wieder und schrieb auch ein Glossar für die damalige Ausgabe.

© Peter Altenberg